Heute vor einer Woche ist Wicker als Pflegehund bei mir eingezogen. Ich war vorbereitet auf den Hund, der aus dem Auto steigen würde, soweit Fotos vorbereiten können. Ich wusste, ich nehme keinen gesunden Hund bei mir auf, sondern einen, der aufwendiger werden würde in Ernährung und Pflege. Als Wicker aus dem Auto stieg, wurde deutlich, was sein Kranksein angerichtet hat: großflächig Stellen ohne Fell, papierdünne, schuppige Haut, vor allem am Kopf und im Gesicht und an den Beinen: Da mag, wer ihm unvorbereitet begegnet, sich schon erschrecken... Wicker selbst begegnete mir beim ersten Kennenlernen zwar verwirrt, aber vertrauensvoll. Die ersten beiden Tage war er sehr durch den Wind, aber jeder Tag mehr lässt ihn zum selbstverständlichen Teil eines sehr merkwürdigen Rudels aus Hunden, Katzen, Mensch und Hühnern werden. Er hat begriffen, dass er vorerst hier "zuhause" ist, markiert fleißig sein Revier und verwarnt auch schon mal Hundekollegen, die hier seiner Meinung nach nicht hergehören. Von einigen der Katzen lassen er und seine Pflegeschwester sich auch schon mal auf Spaziergängen begleiten.
An seinem Pelz hat sein Kranksein derzeit deutlich sichtbare Spuren hinterlassen. Sehr deutlich ist, welch stoßdämpfende und isolierende Wirkung so ein Hundepelz hat: eigentlich eine Binsenweisheit. An Wickers pelzlosen Stellen zeigt sich jeder Stoß, jeder Ratscher sofort in seiner papierdünnen Haut. Aber immerhin schließen sich inzwischen solche Sportsunfälle auch innerhalb kurzer Zeit wieder: Die Hundepension in Spanien hat ganze Arbeit geleistet. Wenn man Wicker berührt, dann wird eben auch die Temperatur fühlbar und die Energie, die er über diese Stellen verliert. Dennoch: Wicker liebt es, es sich berühren zu lassen, auch an den Stellen, an denen er kein Fell hat. Er saugt jedes Streicheln auf wie ein Schwamm. Und wenn ihm einer den Hals unter dem Kinn krault, dann schließt er die Augen vor Wonne und sackt mit den Hinterbeinen weg und ist im Hundeparadies - bis er das Gleichgewicht verliert...
Er hat sich in dieser ersten Woche als anhänglich und schmusig gezeigt, auf Spaziergängen ist er aufmerksam und neugierig. Seine Nase findet alles, vor allem, wenn es fressbar ist. Kühlschrank- und Speisekammertür sind für ihn magische Orte, und er zeigt laut schnüffelnd an, wo etwas Interessantes zu finden (und dann auch zu fressen) wäre. Ärgerlich nur, dass im Moment seiner Medikamente wegen nicht alles erlaubt ist, was gut schmeckt. Die Tatsache, dass er gern frisst, macht allerdings die Medikamentengabe zum Kinderspiel: Versteckt in einem rohen Stück Pute oder Huhn geht alles...
Als Wicker vor einer Woche ankam und wir ihm seinen Liegeplatz zuwiesen, da hat er sich so klein, wie er konnte, zusammengerollt - die Reise war ja lang und aufregend genug, ist weggedöst und hat von Zeit zu Zeit vor sich hingezittert. Wir hatten den Eindruck, dass er nicht ganz glauben konnte, dass diese Matratze vorerst seine ist und er in einem Leben gelandet ist, das gut für ihn werden könnte.
Wicker mag im Moment noch lädiert aussehen. Aber sein Wesen ist es nicht - und darüber staune ich am meisten: trotz dem, was ihm passiert sein muss, sucht er die Nähe zu seinen Menschen und begreift schnell, was für ein Leben hier wichtig ist. Abends kuschelt er sich in sein Körbchen unter die Decke und ist, kaum dass er liegt, schon eingeschlafen. Tagsüber wackelt der ganze Hund vor Begeisterung, wenn es zum Spaziergang losgeht - den Quietschton der Schranktür, hinter der sich die Leinen befinden, kennt er inzwischen ganz genau. Das sind gerade vor dem Hintergrund seiner Geschichte berührende Momente. Ich bin froh, dass in Mazarron Menschen nicht weggesehen haben, als sie diesen Hund in der Perrera gefunden haben. Ich bin froh, dass es Menschen gab, die Phantasie genug hatten, sich vorstellen zu können, was aus dem Bündel Elend werden könnte, was da aus der Perrera entkommen ist. Ich bin froh, dass es die Hundepension in Spanien gab, die nicht locker gelassen hat bei der Ursachensuche zu Wickers Zustand. Und ich bin froh, dass im Moment an vielen verschiedenen Orten wieder andere dafür sorgen, dass Wicker die Behandlung und das Futter bekommen kann, das er braucht, um gesund zu werden und irgendwann hoffentlich auch wieder Pelz zu bekommen.
28.8.2021 Gritta K.
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