Unsere Akuma
Vor 15 Jahren starb unser Seelenhund, der Boomer.
Unser kleiner Pudelmix Oscar und wir trauerten sehr. Da es für uns unvorstellbar war jemals wieder so für einen Hund empfinden zu können, entschlossen wir zukünftig nur noch Pflegestelle zu sein.
Wir dachten die perfekte Lösung gefunden zu haben. Schließlich hätten wir einen Zweithund auf Zeit und könnten vielen Hunden helfen ein Zuhause zu finden.
Es war eine beschlossene Sache und wir setzten uns an den Rechner und begaben uns auf die Suche.
Für besonders klug hielten wir uns mit der Überlegung, einen Hund zu nehmen, den wir nie für uns persönlich aussuchen würden.
Da wir wuschelige Schlappohrhunde mögen und uns Rüden am liebsten sind, suchten wir eine kurzhaarige Schäferhundmischlingshündin mit Stehohren aus.
Auf dem ersten Foto von ihr sah man sie mit melancholischem Blick hinter Gittern sitzen.
Perfekt dachten wir, die bleibt nicht lange.
Schnell war die Mail an den Verein geschrieben und nach einer Vorkontrolle war klar, Akuma kommt.
Zu der Zeit war die Informationskette noch nicht so schnell und zuversichtlich wie heute. Wir bekamen also kaum neue Infos über sie, hatten aber schnell den Termin ihrer Ankunft.
Aufgrund von Problemen, an die ich mich nicht mehr erinnern kann, wurde der Transport immer wieder verschoben. Das hat genervt.
Der Verein schlug uns vor einen anderen Hund zu nehmen. Aber wir hatten das Gefühl Akuma damit im Stich zu lassen. Also warteten wir schließlich 6 Monate bis sie endlich kommen konnte.
Wir standen an einer Autobahnabfahrt und warteten mit anderen Abholern. Niemand hatte WhatsApp, wir hatten keine Ahnung wo sich der Transporter befand, es gab keinerlei Informationsmöglichkeiten, was letztendlich eine Wartezeit von 5 Stunden bedeutete.
Dann endlich bog der Transporter um die Ecke.
Die Tür ging auf und wir erkannten dich sofort. Du hast genauso ausgesehen wie auf den Fotos.
Während der Rückfahrt, wir zwei auf dem Rücksitz, hast du dich mir vorsichtig genähert. Ein guter Anfang.
Zuhause angekommen machten wir dich mit unserem Oscar bekannt. Ihr mochtet euch auf Anhieb.
Alles sah nach einem perfekten Start aus.
Doch je mehr wir dich in der darauffolgenden Zeit kennenlernten, umso mehr Probleme sahen wir.
Begegneten uns andere Hunde bist du fast durchgedreht und hättest dich am liebsten auf sie gestürzt. Unser kleiner Oscar hat sich fürchterlich erschrocken und war nun bei Hundebegegnungen sehr unsicher.
Sobald sich etwas bewegte wolltest du hinterher. Sicher war in dir auch ein Anteil vom Husky, entsprechend war dein Jagdtrieb stark ausgebildet.
Ich habe zu der Zeit nicht gearbeitet und hatte viele Stunden am Tag Zeit mich mit euch zu beschäftigen. Wir machten sehr lange Spaziergänge die du von Mal zu Mal mehr mochtest. Aber eins hast du nicht gemacht: dein Geschäft.
Egal wie lange wir unterwegs waren, Zuhause angekommen hast du dir schnell eine Ecke gesucht um Pipi zu machen oder auch dein großes Geschäft zu erledigen. Ein ganzes Jahr hat es gedauert bis du bereit warst dieses draußen zu erledigen.
Den Holzfußboden, der nun den Teppich ersetzt, verdanken wir dir.
Während dieser ganzen Auseinandersetzungen mit dir wurde deine Vermittlungsseite mit Fotos und Berichten überflutet. Aber es meldete sich niemand. Unsere Idee dich schnell zu vermitteln ließ sich nicht so leicht umsetzen wie wir gedacht hatten.
Oscar und du wart inzwischen unzertrennlich und natürlich schlossen auch wir dich mit all deinen Macken immer mehr ins Herz.
Es sollte ein Jahr dauern bis sich jemand auf dich bewarb.
Beim Lesen der Bewerbung war mein erster Gedanke: „Was fällt dem denn ein? Der will meinen Hund haben?“
Die Leinenpöbelei gab es nicht mehr und stubenrein warst du auch inzwischen. Jetzt habe ich mich so lange mit dir beschäftigt, aus dir einen tollen Hund gemacht und nun will jemand anderes die Früchte tragen. Nie und nimmer!
Wir mussten gar nicht mehr überlegen und adoptierten dich sofort. Gefühlt warst du schon lange unser Hund.
Nachdem diese Entscheidung getroffen war, warst du wie ausgewechselt. Du warst deutlich entspannter, hast dich gefreut wie Bolle und deine Beziehung zu uns war ab diesem Tag noch tiefer. Da können andere gern drüber lachen. Aber uns war klar, dass du es gespürt hast. Du wusstest ab dem Tag, dass du für immer bei uns bleiben wirst, komme was da wolle.
Wir hatten dann noch ganze 12 Jahre mit dir. Es waren tolle, spannende Jahre in denen du viel von uns und wir viel von dir lernen durften.
Die Menschen in unserem Ort mochten dich, denn mit deinem melancholischem Blick, den du nie verloren hast, hast du sie alle um deine Pfoten gewickelt.
Immer wieder zogen auch Pflegehunde bei uns ein. Du hast bei jedem einzelnen deinen Erziehungsauftrag sehr ernst genommen. Anders als wir mit dir monatelang Geduld hatten, hast du jedem Pflegehund sofort die Regeln erklärt: „Mein Haus, meine Menschen, und du fragst mich wenn du was willst“. Wie auch immer du das angestellt hast, sie sind dir alle gefolgt. Und hatten sie das erst einmal kapiert, warst du von dem Moment an eine aufopferungsvolle Mama, die für ihr Rudel töten würde.
Unserer Tochter warst du eine Freundin die sich all ihre Probleme angehört hat und gern für eine Kuschelstunde zur Verfügung stand, wenn es mal Liebeskummer gab.
Als Oscar starb hast du unendlich getrauert. Die tollsten Knochen hast du verschmäht. Du warst untröstlich.
Aber auch der Auszug eines jeden Pflegehundes tat dir weh.
So entschieden wir uns dafür, so lange du lebst, kommt nur noch ein Hund der bei uns bleibt.
Wir sagten unserer Freundin Nieves in Spanien Bescheid, dass der nächste Hund der in die Perrera kommt zu uns soll. Schon einen Tag später bekamen wir Fotos von Little Rasta, der inzwischen bei uns unter dem Namen Freddy lebt.
Freddy hatte es anfangs nicht leicht mir dir. Er durfte ganz einfach gar nichts. Wenn er es wagte sich zu bewegen, kräuselte sich deine Oberlippe und Freddy verstand. Drei Wochen brauchtest du um ihn dir gefügig zu machen bis du einen dir blind vertrauenden Freddy im Gefolge hattest.
Wenn es am Abend einen Kauknochen für euch gab, hast du deinen Knochen immer verschlungen, anschließend Freddy angeschaut, der sich dann von seinem Knochen entfernt hat, damit du ihn in dein Körbchen bringen und langsam und mit viel Genuss verspeisen konntest.
Ich fand das unmöglich von dir und habe mehrfach den Knochen Freddy zurückgegeben. Aber niemals hätte er etwas genommen was du als dein Eigentum gekennzeichnet hattest.
Du hattest alles im Griff.
Jeden Winter sind wir mit dem Wohnmobil nach Spanien ins Refugium gefahren. Während Freddy dort immer sehr verunsichert war, hat es dir gefallen an den Zwingern entlang zu schwadronieren und den anderen Hunden den Stinkefinger zu zeigen. Offensichtlich hattest du vergessen, dass du mal in der gleichen Situation warst.
Sind wir dann, Wochen später nach Hause gekommen, und du hast unser Haus erkannt, hast du vor Freude ganze Arien gesungen und wir konnten dich die nächsten Stunden nicht bewegen das Haus zu verlassen. Immerhin bestand ja die Gefahr, dass du wieder für lange Zeit nicht zurückkommst.
Du warst immer auf deine ganz besondere Weise speziell. Ein sehr bekannter Trainer hat mal nach der Anamnese über dich gesagt: Eine alte Seele, die genau weiß was sie will!
Das trifft es auf den Punkt.
Oft haben wir uns darüber amüsiert, dass du aus Prinzip das Gegenteil von dem wolltest, was wir wollten. Haben wir dich gerufen um zu uns aufs Sofa zu kommen, hast du es dir in deinem Körbchen gemütlich gemacht. Wenn ich dich aber in dein Körbchen geschickt habe bist du wie selbstverständlich aufs Sofa gesprungen. Warum das so war haben wir nie erfahren.
Es war eins deiner vielen Geheimnisse. Immer schien es etwas zu geben was dir Sorgen bereitet hat oder dich gefreut hat, aber für uns nicht wahrnehmbar war. Freddy hat es immer gewusst.
Obwohl deine Schnauze von Jahr zu Jahr weißer wurde, bist du nicht gealtert. Viele Jahre schienst du unverwüstlich zu sein, warst niemals krank und extrem willensstark.
Im September 2020 warst du auf einmal sehr schlapp und dein geliebtes Fressen schmeckte dir nicht mehr. Die Diagnose war eine chronische Niereninsuffizienz, noch 30 % Leistungsfähigkeit deiner Nieren. Der Tierarzt informierte uns über dein baldiges Ableben. Wir suchten also einen Tierarzt der sich mit dem Thema besser auskannte und von dem Tag an wurdest du königlich von uns bekocht.
Das hat dir gefallen. Schnell warst du wieder die Alte. Nicht ganz so schnell, aber immer noch genauso willensstark und geheimnisvoll.
Freddy und du wart noch enger miteinander. Wir hatten den Eindruck das er auf dich aufgepasst hat. Er war immer an deiner Seite, schlief vor deinem Körbchen statt in seinem eigenen.
Du warst glücklich, das konnten wir sehen.
Im Mai 2021 verschlechterte sich dein Zustand wieder und die Tierärztin gab dir noch maximal 2 Wochen.
Aber hat es dich je interessiert was wir Menschen dachten?
Nein, du hattest immer deinen eigenen Plan.
Mit Argusaugen beobachteten wir dich und ließen dich keine Sekunde mehr aus den Augen. Wir wollten für dich da sein und dir helfen, wenn es dir schlecht ging.
Die kommenden 6 Wochen hast du entgegen des Wissens der Tierärzte noch toll gelebt. Wir haben tägliche Spaziergänge gemacht, auch wenn diese immer kürzer wurden. Inzwischen warst du auch dement und bist ganz weich geworden. Anders als in früheren Zeiten hast du nun alles und jeden geliebt.
Was dich zeitlebens geärgert hat konnte dich nur noch amüsieren.
Alle Hunde wolltest du nun in dein Herz schließen. Nichts war übrig von unserer Zicke, die jedem Welpen erst mal ein wenig unsanft die Welt erklärt hatte.
Es war unendlich bereichernd diese Zeit mit dir erleben zu dürfen, auch wenn uns die Angst um dich im Nacken saß.
Am 14. Juni 2021 war es dann soweit. Mit einem guten Gewissen konnten wir dich nicht mehr leben lassen. Unseren Wunsch, dass du friedlich einschläfst, hast du uns nicht erfüllt.
Wir mussten die Entscheidung treffen dich zu erlösen, denn leiden solltest du auf gar keinen Fall.
Das war unser letzter Liebesbeweis an dich.
Freddy war die ganze Zeit an deiner Seite, auch als wir dich Stunden später an einem wunderschönen Platz unter einer Eiche beerdigt haben.
Du hattest viele Namen: Dicke, Motte, Tuppelchen, Schnütchen und auch Zicke, in den letzten Monaten wurdest du immer häufiger Oma gerufen.
Und nun hast du uns verlassen. Wir vermissen dich so sehr.
Alle sagen du bist über die Regenbogenbrücke gegangen. Wer weiß das schon?
Aber wenn du an diesem wunderbaren Ort sein solltest, bin ich sicher, dass du bereits von Oscar, Boomer und deinen alten Freunden herzlichst empfangen worden bist. Bestimmt hast du zuerst alle angezickt, dich aber insgeheim über die Begrüßung gefreut, um dann allen voraus über die Wiesen zu rennen. So schnell wie früher und ganz ohne Schmerzen.
Mach es gut kleine Zicke, du wirst uns immer fehlen.